Zur Entstehung des Kosakenstücks

"Lauf Katinka" ist ein Volksschauspiel in doppelter Hinsicht: Es kam sowohl die erste Anregung zur Befassung mit dem Kosaken-Thema aus der örtlichen Bevölkerung und die Interpreten sind Osttiroler Laienschauspieler. Ermutigt dazu und umgesetzt hat das Projekt Ekkehard Schönwiese als Autor und Regisseur.
"Seit meiner Jugendzeit wurde ich immer wieder mit dem Schicksal der Kosaken konfrontiert. Ich lernte in der Peggetz (ehemaliges Kosaken-Lager) überlebende kennen und setzte mir zum Ziel, mehr über die Ereignisse nach Kriegsende 1945 zu erfahren", schildert die Hauptinitiatorin Roswitha Selinger. Sie sammelte einige Leute um sich, "die gut mit anderen reden können", besorgte ein Aufnahmegerät und führte mit über 30 Zeitzeugen Interviews. Mehr als 24 Stunden Text kamen auf diese Weise zustande. "Es war nicht einfach, Zeugen der damaligen Zeit zu finden, die bereit waren, über ihre Erlebnisse zu berichten. Herausgekommen sind viele kleine Geschichten über Ereignisse zwischen Mai und Juni 1945, die bislang in keinem Geschichtsbuch niedergeschrieben wurden", erzählt Obmann Wolfgang Michor. "Wir stießen bei vielen Befragten zunächst auf Ablehnung und Schweigen. Aber als sie zu reden begannen, brachen manche in Tränen aus, andere konnten nach Jahrzehnten noch immer nicht über das Erlebte sprechen", ergänzt Selinger. Aus diesem Stoff und ergänzendem Studium diverser Geschichtsliteratur schrieb Schönwiese den Rohentwurf zur Kosakentragödie. Auf einen Aufruf der Theaterwerkstatt Dölsach meldeten sich erstaunlicherweise 23 Darsteller, unter ihnen Frauen und Kinder. Schönwiese baute sie alle in sein Rahmenkonzept ein, schrieb für jeden von ihnen eine Rolle und erarbeitete mit dem Ensemble gemeinsam in 30 Proben das Stück. Seine Uraufführung im Herbst des Vorjahres begeisterte das Publikum. Zehn Vorstellungen waren ausverkauft, viele erhielten keine Eintrittskarten mehr, die Kritik sprach von einer Glanzleistung der Tiroler Volksbühne.
Theaterprofi Schönwiese setzte alle klassischen Mittel der Bühnenkunst ein. So gibt es im Stück den Sprechchorus, musikalische Untermalung und choreographische Elemente. Eine Erzählerin lässt den historischen Fortlauf der Ereignisse einfließen. Der Autor wertet nicht im Sinn von Schuld und Gerechtigkeit. Die Zahlen, Daten, Fakten der Geschichtsschreibung werden in menschliche Begegnungen, Nöte und Gefühle, in konkrete Einzelschicksale umgesetzt. Sogar die Pferde reden - träumen von der Freiheit in den südrussischen Steppen und klagen über den Verlust von Heimat. "Lauf Katinka"
beschreibt den Leidensweg der Kosaken, die am Ende des Zweiten Weltkrieges über den Plöckenpass ins Oberdrautal und nach Osttirol gekommen sind (Erster Akt), sich hier eine neue Heimat erhofften (Zweiter Akt), aber nach dem Abkommen von Jalta unter dramatischen Umständen nach Sibirien "repatriiert" wurden (Dritter Akt). Das Stück zeichnet nach autobiographischen Berichten und Dokumentationen nicht nur das Leben und die vergeblichen Hoffnungen der Kosaken nach, sondern beschreibt in einem vielschichtigen Handlungsgeflecht u. a. Begegnungen von Einheimischen mit den englischen Besatzern. Eine ungewöhnliche Ebene des Spieles stellt die Geschichte aus der Sicht der Pferde dar. "Katinka" und "Karabak" denken dabei zwischen Herdentrieb und Anarchie über mögliche Auswege aus der Verzweiflung nach. Der Stücktitel ist nach jener Kosakenstute benannt, die als Kriegsbeute der Briten bei Point to Point-Rennen justament in jenen Tagen als Siegerin gefeiert wurde, als ihr Herr, ein hoher Kosakenoffizier, in Moskau erhängt worden war.

Ende

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