ILSE TIELSCH (auch Tielsch-Felzmann)


Geboren in Auspitz (Hustopece), CSR. Gymnasium in Auspitz, Nikolsburg und Znaim, Flucht nach Oberösterreich im April 1945, Landarbeit, Fortsetzung des Schulbesuchs in Linz und Wien. 1949 Zuerkennung der österreichischen Staatsbürgerschaft. Studium der Zeitungswissenschaft u. Germanistik an der Universität Wien, Promotion 1953. Lebt als freie Schriftstellerin in Wien.

Bisher 21 Buchpublikationen, davon mehrere übersetzt in ausländischen Verlagen erschienen; mehrere Hörspiele und ein Filmdrehbuch; Beiträge in namhaften in- und ausländischen Zeitschriften und Rundfunkstationen; 1980 bis 1988 erschien die Romantrilogie "Die Ahnenpyramide", als Versuch einer Aufarbeitung der Geschichte der Deutschen Mährens;

Auszeichnungen: Erzählerpreis d. Autorenkolloquiums Neheim/Hüsten, Kulturpreis des Landes Niederösterreich, Andreas Gryphius-Preis, Anton Wildgans-Preis, Mozartpreis der Goethe-Stiftung Basel, Eichendorffpreis (u.a.); österr. Ehrenkreuz f. Wissenschaft u. Kunst, Goldenes Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Wien;



Die Ahnenpyramide
Auszug


Neben dem Bahndamm hielt Wundraschek sein Pferd an.
Ein Pferd war Gold wert in diesen Zeiten, und das im wahrsten Sinne des Wortes. Für die Fahrt, die er eben, durch Anhalten seines klapprigen Wagelchens, beendet hatte, war er gut bezahlt worden, und es war nicht die erste derartige Fahrt gewesen und würde auch die letzte nicht sein. Die Deutschen mussten aus dem Land, das stand fest, das hatte er, Wundraschek, schon lange vor dem Ende dieses Krieges gewusst. Alle Tschechen hatten es gewusst, nur die Deutschen hatten es, auch wenn man heimlich darüber geredet hatte, nicht geglaubt. Einige, die noch ehe die Russen gekommen waren, mit Pferd und Wagen oder in überfüllten Zügen die Flucht ergriffen hatten, waren sogar, als sich die Lage einigermaßen beruhigt hatte, zurückgekommen und hatten ihr gesamtes Fluchtgepäck wieder mitgebracht. Er hatte nur den Kopf schütteln können über soviel Dummheit oder Naivität, das konnte man nennen, wie man wollte, er jedenfalls hatte es nicht verstanden.
Die meisten waren ohnedies dageblieben, in der Meinung, es würde schon nicht so schlimm werden, man würde das Kriegsende in Kellern oder anderen Schlupfwinkeln abwarten, man würde schon irgendwie überleben, und nachher würde alles wieder weitergehen, Tschechen und Deutsche in einem Land, wie das seit undenklichen Zeiten der Fall gewesen war.
Da haben sie sich getäuscht, dachte Wundraschek, das ist vorbei. Überall waren sie jetzt unterwegs, der Grenze entgegen, Frauen, Kinder, alte Leute, Mütter mit ihren Kleinkindern auf dem Rücken, die größeren an der Hand, von den jüngeren Männern waren die meisten gefallen, und jene, die noch lebten, waren wahrscheinlich irgendwo in Sibirien oder vielleicht auf dem Weg dorthin. Auf allen Strassen zogen die Deutschen dahin, einzeln oder in kleinen Gruppen oder in langen Zügen, man hatte ihm davon berichtet, Genaues wusste er nicht, wollte es auch nicht wissen. Was ging ihn das alles an? Er brachte diese hier zur Grenze, und er hatte dabei das Gefühl, ein gutes Werk zu tun. Wenn er sie nicht mit seinem Wagen bis hierher gebracht hätte, dann hätten sie immerhin etwa fünfundzwanzig Kilometer weit ihre Rucksäcke und Koffer selbst schleppen mussen, und das wäre ihnen, schon der Kinder wegen, nicht leicht gefallen. Wenn er dafür ein paar Wertgegenstände als Bezahlung genommen hatte, dann war das nur recht und billig. In außergewöhnlichen Zeiten waren für außergewöhnliche Leistungen immer noch besondere Preise berechnet worden.

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